An dieser Stelle der Hinweis auf die Fotoausstellung Fluchtlinien 2 von Günter Lietzmann im Raschplatzpavillon Hannover. Ich habe sie Mitwoch vor, während (Pause) und nach dem Programm der Steptokokken im Pavillon gesehen – bewegende Schicksale, die es wert sind, beachtet zu werden.
Kulturzentrum Pavillon · Lister Meile 4 · 30161 Hannover · Telefon 0511 235555-0 · Öffnungszeiten Montag–Freitag: 10–18 Uhr
Bildrechte bei Günter Lietzmann (alle Bilder dieses Blogposts)
Fluchtlinien 2
Erfreulicherweise haben Polen und auch Ungarn seit dem Überfall Russlands in die Ukraine, vom ersten Tag an tausende Flüchtlinge aufgenommen. Regierung und Bevölkerung kümmern sich bewundernswert um die Flüchtlinge aus der Ukraine. Allerdings sind offenbar afrikanische Flüchtlinge, die in der Ukraine studiert haben, weniger willkommen und sprechen von rassistischen Erfahrungen an der Grenze. Auch die Flüchtlinge, die von Belarus nach Polen einreisen möchten, werden nicht willkommen geheißen.
In Vergessenheit drohen die vielen Flüchtlinge zu geraten, die nach wie vor gezwungen sind, zu versuchen, Europa über das Mittelmeer zu erreichen. Nach wie vor ertrinken viele von ihnen, weil ihnen sichere Reisewege versperrt bleiben, seit die EU 2001 die berüchtigte Richtlinie 51 verabschiedet hat, die besagt, dass keine Fluggesellschaft einen Passagier in die EU transportieren darf, der über kein Visum verfügt. Die Androhung von Strafen bis zu 500.000 € haben dafür gesorgt, dass sich die Unternehmen daran halten. Viele Jahre hatte allein die italienische Regierung mit der Aktion Mare Nostrum Menschen aus dem Mittelmeer gerettet. Die EU hatte sich geweigert sich an der Finanzierung dieser Aktion zu beteiligen. Seit 2015 hatten sich dann mehrere Nationen an der Mission SOPHIA beteiligt, deren Aufgabe es war, Schleusern das Handwerk zu legen und die libysche Küstenwache auszubilden, mit dem Ziel zu verhindern, dass Flüchtlinge von Libyen aus über das Mittelmeer nach Europa fliehen. Wie man Schleusern, die natürlich nie in den Booten saßen dann im Mittelmeer das Handwerk legen wollte hat sich mir nie so recht erschlossen. Immerhin hat die Mission Sophia, so genannt nach einem Mädchen, das auf einem Schiff der Bundesmarine zur Welt gekommen ist, mehr als 50.000 Menschen im Laufe von vier Jahren das Leben gerettet.
Die Aktion Sophia ist dann 2019 ausgelaufen, zumindest die Schiffe sind zurückgezogen worden, auch weil sich Polen und Ungarn geweigert haben, die geflüchteten Menschen aus dem Mittelmeer aufzunehmen.
Die Grenzschutzagentur FRONTEX sorgt seither mit ihren Aufklärungsflugzeugen nicht dafür, dass Flüchtlinge auf See von Rettungsschiffen z.B. von Sea Watch oder Sea Eye übernommen werden, sondern arbeiten offenbar mit der libyschen Küstenwache – viele Journalisten reden heute nur noch von der sogenannten Küstenwache – zusammen, die die Flüchtlinge unter Gewaltanwendung zurück nach Libyen bringen. Aus vielen Berichten von den Betroffenen wissen wir heute, dass die Menschen dort unter katastrophalen Bedingungen in Lagern gehalten werden. Offiziell stehen diese Lager unter Kontrolle der Behörden, tatsächlich aber haben verschiedene Milizen das Sagen. Die Migranten, bzw. ihre Angehörigen, werden erpresst. Auch von Zwangsprostitution ist berichtet worden. Überlebende sagten aus, sie würden lieber im Mittelmeer ertrinken, als zurück nach Libyen gebracht zu werden.
Der Papst hat bereits vor einigen Jahren das Verhalten der EU gegenüber den Flüchtlingen im Mittelmeer als „Schande für Europa“ bezeichnet. So würde ich auch das Verhalten mehrere Mittelmeeranrainer nennen, die den Rettungsschiffen mehrerer NGO Seenotretter nicht nur tagelang das Anlegen ihrer Schiffe verbieten, sondern die Mannschaften verhaften und anklagen und außerdem die Rettungsschiffe festsetzen. Die Begründungen sind fast durchgängig absurd und nicht nachvollziehbar. So wurde ein Rettungsschiff festgesetzt, weil es zu viele Rettungswesten an Bord hatte, ein anderes Rettungsschiff hatte zu viele Menschen gerettet, das Schiff wurde festgesetzt, die Mannschaft wurde verhört. Gleichzeitig wurde die Mannschaft vom Bürgermeister der Stadt Palermo zu Ehrenbürgerinnen und Ehrenbürgern ernannt. Es handelte sich hier um die Mannschaft von SEA EYE 4.
Der Umgang mit den Menschen die zur Zeit aus der Ukraine in Länder der EU flüchten, zeigt wie es gehen könnte: vor 2001 konnte jeder Mensch, der sein Land verlassen musste oder wollte, in ein Flugzeug seiner Wahl steigen und in ein EU Land fliegen. Dort angekommen passierte dann das, was auch heute mit den Flüchtlingen aus außereuropäischen Ländern passiert, wenn sie denn die Überfahrt des Mittelmeeres überleben: sie erklären den Einwanderungsbehörden, dass sie um Asyl bitten. Die Menschen, die aus der Ukraine zu uns kommen, können neun Monate ohne Visum hier leben und arbeiten. Das sollte für alle Menschen gelten, die aus guten Gründen ihr Land verlassen haben und zu uns kommen wollen. Meist ja nur für einen begrenzten Zeitraum. Bis ihr Heimatland ihnen wieder lebenswert erscheint.
Günter Lietzmann