Da waren wir doch vor ein paar Tagen auf der Westerländer Promenade. Sandra und Pauline saßen im Strandkorb und ich philosophierte darüber, nach einem Milchkaffee, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, daß eine Möve einem in den Milchkaffeebecher scheißt und als Zusatz, daß man es nicht merkt und von dem Scheißkaffee probiert. Kurz nachdem ich meine Erörterungen dazu beendet hatte, gab es eine Mövenscheißattacke, die Sandras weiße Hose an /dev/null auslieferte sowie in Streuwirkung ordentlich die Jacken und Hosen der anderen beteiligten erwischte.
Doch nun zurück zum Problem: Der Durchmesser des Milchkaffeebechers beträgt sagen wir 10 cm, zur Vereinfachung nehmen wir an, daß der Becher sich konstant an einem Punkt im Areal befindet. Das Areal, die Westerländer Strandpromenade wird auf 10 m x 100 m begrenzt. In diesesm geschlossenen System befinden sich 25 Möven, die nicht aus dem geschlossenen System entweichen – es kommen auch keine neuen hinzu – der Vereinfachung wegen. Sie bewegen sich nicht vorhersehbar im System mit einer Fluggeschwindigkeit von 5 m/sec., die konstant bleibt.
Wie groß ist P(Scheißkaffee)?
P(Scheißkaffee schmeckt nicht) = 1, das ist unbestritten. Ich habe Dr. Norbert Poschadel angemailt, einen bekannten deutschen Mathematiker, den ich noch aus der Schulzeit kenne, mal sehen, was er zum Problem meint. 😉
Oopsss, ich habe für die Aufgabe noch Angaben vergessen: Eine Möve scheißt in der Stunde 15 Mal, wie das Scheißen auf die Stunde verteilt ist, ist nicht vorhersehbar. Der Untersuchungszeitraum, also die Zeit, die für das Vollscheißen des Milchkaffeebechers bleibt, wird auf 20 Minuten gesetzt.
Ich hoffe nun, alle relevaten Angaben getätigt zu haben. Sollte dennoch etwas fehlen, bitte entsprechende Annahmen treffen.
Ich habe mal Norberts zwei Mails zum Problem als Kommentar angehängt, damit auch die 2-3 gelegentlichen Mitleser schlauer werden. 😉
Hallo Karsten,
[..]
Was Dein Problem aus der stochastischen Geometrie betrifft, so lässt sich
dieses unter vereinfachenden Homogenitäts-, Unabhängigkeits- und
Punktförmigkeitsannahmen ähnlich behandeln wie die Frage danach, wie groß
die Wahrscheinlichkeit ist, dass sich in einem Stück eines Rosinenkuchens
eine Rosine befindet. Damit Du auch im Urlaub nicht nur auf der faulen
Haut liegst und noch etwas zu knobeln hast (und allein auch schon aus
geschmacklichen Gründen) sage ich Dir lieber etwas zum Rosinenproblem.
(Das lässt sich dann leicht auf Dein “Nichtrosinenbomber-Problem”
übertragen.)
Die Anzahl der Rosinen in dem Kuchenstück ist (unter den entsprechenden
vereinfachenden Annahmen) Poisson-verteilt. (Die Poissonverteilung lässt
sich leicht durch einen Grenzübergang aus der Binomialverteilung gewinnen,
damit lässt sich obige Behauptung begründen –> Grundkursübungsaufgabe zur Berechnung von Grenzwerten.) Die Wahrscheinlichkeit für k Rosinen in dem Kuchenstück ist damit
P(k) = exp(-m) m^k / k! (k=0,1,2,…).
Hierbei ist m der (einzige) Parameter der Poissonverteilung (den wir noch
bestimmen müssen). exp ist die e-Funktion (also exp(-m) = e^{-m}).
P(0) = exp(-m) ist die W. dafür, dass keine Rosine drin ist (denn
m^0=1=0!) und 1-P(0) = 1-exp(-m) ist demnach die W. dafür, dass (mind.)
eine drin ist.
Der Erwartungswert dieser Poissonverteilung ist m (Übungsaufgabe!).
Man hat also im Mittel m Rosinen in diesem Kuchenstück zu erwarten.
Wenn man m kennt, dann ergibt sich die W. für (mind.) eine Rosine also zu
1-exp(-m). Wie groß ist nun m? Wenn man weiß, wie viele Rosinen im
ganzen Kuchen zu erwarten sind und wie groß der Kuchen und das betrachtete Stück sind, dann lässt sich m sofort (mittels Dreisatz) bestimmen.
Da Du ja weißt, wie viele Bombardements man auf dem gesamten Areal (in der vorgegebenen Zeitspanne) zu erwarten hat und wie groß die beteiligten
Flächen – das betrachtete Areal und die Becheröffnung – sind, müsstest Du
jetzt alles ausrechnen können. Die Fluggeschwindigkeit der Möwen spielt
dabei übrigens genauso wenig eine Rolle wie die Geschwindigkeit, mit der
der Bäcker den Teig umgerührt hat. (Es sei denn, die Geschwindigkeit
ist so hoch, dass die Punkförmigkeitsannahme nicht mehr gerechtfertigt
ist. Aber hierzu liegt nach Deinen Angaben ja schon ein entsprechendes
Testergebnis auf Sandras Hose vor).
Viel Spaß!
Norbert
Hallo Karsten,
mir fiel jetzt noch folgende Ergänzung zu meiner letzten Mail ein:
Der Ausdruck 1-exp(-m) ist natürlich fast identisch mit m, falls
m ganz klein ist (wie bei Deinem Problem).
Dann ist also der Erwarungswert m dirket schon (ziemlich genau)
die gesuchte Wahrscheinlichkeit. Der Grund ist folgender:
Die Funktion f(x)=1-exp(-x) hat den Wert f(0)=0 und die Steigung
1 an der Stelle 0 (f'(0)=1). Also ist für kleine x der Wert f(x)
ziemlich genau gleich x.
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Anschaulich ist das auch klar: Der Erwartungswert der Anzahl der
Ereignisse ist
m = 0*p_0 + 1*p_1 + 2*p_2 + 3*p_3 + … ,
wobei p_k die W. für das Eintreten von genau k Attacken ist.
Der erste Summand fällt weg (wegen der 0). p_1 ist die W. für
genau ein Ergeignis. Falls es nun sehr unwahrscheinlich ist, dass
mehere Ereignisse der betrachteten Art im Beobachtungszeitraum
eintreten (und diese W. schnell genug gegen 0 gehen), so können
die Terme hinter p_1 vernachlässigt werden und es bleibt nur
p_1 übrig. Da man m leicht ausrechnen kann (Dreisatz, vgl. letzte
Mail), hat man damit p_1 und somit natürlich auch
p_1 + p_2 + p_3 + … (=1-p_0),
also die W. für mindestens eine Attacke (denn die Terme hinter p_1
sind ja alle zusammen so klein, dass es egal ist, ob sie dastehen
oder nicht, die W. für eine Attacke ist also fast so groß wie die
für eine beliebige von Null verschiedene Anzahl von Attacken, da es
sowieso unwahrscheinlich ist, dass gleich mehrere auftreten).
So könnte man das Problem also auch (in für Urlaubszwecke
hinreichend guter Näherung) ohne Poissonverteilung lösen.
Gruß,
Norbert